Warum Joggen tödlich ist

3. Platz der Gruppe, der 12 bis 13 jährigen Jungautoren 2019

Freitagabend, 19:00

Meine Füße kommen in regelmäßigen Abständen auf dem Waldboden auf. Ich rieche die Bäume um mich herum, während ich in gemäßigtem Tempo durch die Dämmerung jogge. Es ist anstrengend, denn ich bin es nicht gewöhnt, ich mache generell viel zu wenig Sport, trotzdem macht es mir auch Spaß, die Bewegung tut gut.

Meine Eltern sind über das Wochenende weggefahren, ich bin allein, was mir normalerweise auch nichts ausmachen würde. Doch jetzt kommt mir aus irgendeinem Grund der Gedanke, dass es zwei Tage lang vermutlich niemand merken würde, sollte ich sterben. Schnell verdränge ich ihn wieder, warum sollte ich auch sterben. Umbringen würde mich erst recht niemand. Eigentlich bin ich so still, dass selbst meine Klassenkameraden wahrscheinlich nicht mal wissen, dass es mich überhaupt gibt. Ich habe auch nur einen Freund, Elias. Wir kennen uns schon ewig, er ist in der Grundschule in das Haus neben unserem gezogen. Seitdem sind wir geradezu unzertrennlich, aber er ist viel beliebter als ich und hat leider auch andere Freunde und Anhänger. Bald soll er zum Schulsprecher gewählt werden.

Während nun die Sonne langsam untergeht bekomme ich Seitenstechen und mein Atem geht unregelmäßig. 
Plötzlich bemerke ich Gestalten weiter hinten, zwischen den Bäumen. Ich laufe langsamer und halte schließlich an, als ich eine aufgebrachte Stimme höre. Eigentlich soll man fremden Gesprächen ja nicht lauschen, doch hier ist das quasi unvermeidbar. Wenn ich auf dem kürzesten Weg nach Hause will, muss ich auf jeden Fall an ihnen vorbei, außerdem bin ich neugierig, es klingt wie ein Streit. 
Ich erkenne nur Schemen, immerhin ist es fast Nacht, soweit ich es erkennen kann, müssen es zwei Jungen etwa in meinem Alter sein, vielleicht gehen sie sogar auf meine Schule. Der eine hat blonde und der andere braune Haare, mehr erkenne ich auch nicht. Ich gehe näher ran und merke, dass nur der eine auf den anderen einzureden scheint, es klingt nicht sehr freundlich und der Braunhaarige weicht vor dem zweiten Jungen zurück. Ich weiß nicht genau was ich jetzt tun soll, wenn ich einfach an ihnen vorbeilaufe, könnte es so aussehen als würde ich ihnen lauschen und das möchte ich nicht, aber eine andere sinnvolle Möglichkeit gibt es nicht.

Ich lege wieder an Tempo zu, während ich meinen Blick starr an ihnen vorbei richte. Sie haben mich noch nicht bemerkt und ich hoffe, dass das so bleibt. Plötzlich nehme ich aus den Augenwinkeln eine ruckartige Bewegung wahr. Ich gucke ganz kurz zu ihnen und sehe, wie der eine Junge zu Boden sinkt und dort liegen bleibt. Der blonde hat auf einmal etwas in der Hand, das ich nicht einordnen kann, vielleicht ein Handy oder so. Als der Junge sich auf dem Boden immer noch nicht bewegt nimmt mein Reflex zu helfen Überhand. Ich renne zu ihnen und knie mich daneben. Er reagiert nicht auf, also lege ich ihn in die stabile Seitenlage und prüfe seine Puls. Als ich ihm an die entsprechende Stelle am Hals fasse, spüre ich etwas Warmes, Nasses. Blut! Warum blutet er?

Ich drehe mich zu dem anderen Jungen um, der mich anstarrt. Erst jetzt erkenne ich die unverwechselbaren hellblonden Haare, die ich schon so oft gesehen habe, es ist Elias! Der Gegenstand, der mir ja schon aufgefallen ist, ist allerdings kein Handy, wie ich zunächst vermutet hatte, sondern ein Messer! Was macht Elias hier mit einem Messer und warum ruft er keinen Krankenwagen?
“Elias, was ist hier los” frage ich ihn verzweifelt, ich will nicht wahrhaben, nach was alles hier aussieht.
“Mach doch was, er stirbt!”
Aber Elias wendet einfach den Blick ab und schweigt.
“Hast du ihn umgebracht?” stoße ich hervor.
Elias sieht wieder zu mir und antwortet,
„Er hatte es verdient!”

Meine Gedanken rasen und trotzdem ist es in meinem Kopf still.
“Niemand hat es verdient zu sterben” flüstere ich entsetzt.
“Er schon” kommt seine kaltblütige Antwort schnell.
“Warum?” frage ich fassungslos.
“Er war mir im Weg. Nur er war genauso einflussreich wie ich, und hätte meinen Aufstieg zum Schulsprecher vereitelt”

Jetzt habe ich Gewissheit. Er ist ein Mörder! Ich kenne ihn schon so lange und das hätte ich nie erwartet. Ich stehe langsam auf und weiche vor ihm zurück. Was soll ich jetzt machen? Die Polizei rufen und damit meinen besten und einzigen Freund verraten, der wie eine Bruder für mich war?
Auf einmal scheint Entschlossenheit in seinen Augen aufzublitzen. Er macht einen schnellen Schritt auf mich zu und noch bevor ich reagieren kann, presst er mich gegen einen Baum. Ich erkenne ihn nicht wieder. Wie kann das Elias sein?
Ich spüre das kalte Messer an meinem Hals. Elias ist mir sehr nah, viel zu nah für meinen Geschmack. Was mir normalerweise egal wäre, ist jetzt schrecklich, denn das ist nicht der Junge, den ich kenne, doch ich tue nichts. Durch jede winzige Bewegung würde das scharfe Messer meine Kehle aufschneiden. In den kalten Augen meines ehemals besten Freundes erkenne ich, dass er die entscheidende Bewegung gar nicht ausführen möchte, in ihm ist noch etwas von meinem Elias, aber ich weiß genausogut wie er, dass er mich auch nicht gehen lassen kann. Das Risiko, dass ich ihn verraten könnte ist zu groß.
Ich schließe die Augen und mache mich auf meinen Tod bereit.
 Eigentlich will ich so nicht sterben, ich möchte selbst über mein Ende bestimmen. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich habe mir schon inmer vorgestellt, wie ich es eines Tages beende. Vielleicht springe ich von einer Brücke, das kam mir am angenehmsten vor. Als letzte Eindrücke vom Leben Adrenalin und eine schöne Umgebung.
Doch jetzt werde ich von meinem besten Freund ermordet. 
Ich kann es selbst nicht glauben, wie ruhig ich bei diesem Gedanken bin. Als hätte mein Gehirn schon aufgegeben. 
Ich atme ein letztes Mal tief ein, spüre alles um mich herum überdeutlich, bevor der Schmerz kommt und ich endgültig zu Boden sinke. von Helene Volk (13)

Schreibe einen Kommentar