Das alleingelassene Löwenjunge

1. Platz der Gruppe der 12 bis 13-jährigen Jungautoren 2019

Layla stand vor dem Löwenkäfig und schaute gebannt auf die Jungen der neuen Löwin aus Afrika. Sie hatten alle so viel Energie, obwohl sie noch so jung waren! Sie krabbelten umher und erkundeten diese fremde Welt, die noch so unwirklich neu für sie war. Besonders ein Junges stach Layla ins Auge. Es war das Albino-Junge der Löwin, und das Neugierigste und Energievollste von allen. Albino-Löwen werden nur sehr selten geboren, und könnten in der Natur meist nicht lange überleben, weil sie durch ihre helle Fellfarbe auffallen. Aber so ein Albino-Junges im Zoo zu haben, war eine echte Besonderheit!

Plötzlich wurde Layla von einem lauten Schnurren aus ihrer Faszination gerissen. Es war ihre Löwin Amira, die ihren riesigen Kopf schnurrend an Laylas Hand rieb. Layla blickte auf Amira herunter und strich mit ihrer Hand über ihren Kopf, woraufhin die Löwin hochblickte und Layla in die Augen sah. Ihr Blick war mit so viel Liebe erfüllt, dass Layla unwillkürlich die Leine, an die Amira angebunden war, losließ, sich hinkniete und Amira hinter den Ohren kraulte.

Viele Zoobesucher, die auf dem Weg nach draußen waren, blieben stehen und schauten die Beiden fasziniert an. Layla kraulte Amira geistesabwesend und bemerkte die Menge, die sich um die Beiden versammelt hatte, gar nicht. In ihren Gedanken war sie wieder bei dem Tag, an dem sie Amira getroffen hatte. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie schon seit 5 Jahren im Zoo und kannte sich deshalb mit allem bestens aus. Unter ihren Kollegen war sie sehr beliebt und hoch angesehen, da sie ein gutes Händchen für Tiere hatte und sehr viel über sie wusste. Layla hatte für jede noch so knifflige Situation einen Rat und einen genauen Plan, wie man sie lösen konnte. Unter ihren Kollegen war sie auch als „Ratgeber“ bekannt. Und so kam an diesem Morgen wieder ein verzweifelter Kollege zu ihr und bat sie um Hilfe. In seinen Armen hielt er in eine warme, kuschelige Decke eingewickelt ein kleines, hilfloses Löwenjunge. Das Kleine war verängstigt und unterernährt – man konnte alle Rippen von ihm sehen. Es sah sich panisch um. Seine Augen waren voller Angst und das Junge rief immer wieder verzweifelt nach seiner Mutter. Doch es bekam nie eine Antwort auf das herzzerreißende Jaulen.

Was war bloß mit seiner Mutter geschehen? Aber dann erklärte der Kollege Layla, dass dies das einzige Junge war, das überlebt hatte. Die Löwin hatte ihre Jungen verstoßen, und die anderen Zwei waren verhungert. Dies war das einzige lebende Löwenjunge, doch es atmete nur noch schwach. Auch das Jaulen hatte aufgehört, denn das kleine – wie es sich herausstellte –Weibchen hatte keine Kraft mehr. Der Kollege konnte sich nicht um sie kümmern, da seine Schicht nun beendet war und er in seiner Wohnung nicht genug Platz hatte, um eine Löwin großzuziehen. Zudem hatte er keinerlei Wissen über die Erziehung von Löwen. Mit letzterem kannte sich Layla zwar auch nicht aus, aber sie hatte Mitleid mit dem kleinen, hilflosen und alleingelassenen Weibchen, und nahm sie an sich. Um sie aufzuwärmen, legte Layla das Junge in die Brutstation, wo eigentlich Straußeier ausgebrütet werden. Die kleine Löwin, die Layla, Amira getauft hatte, schlief in der gemütlichen Wärme ein. Während sie schlief, holte Layla ein Fläschchen mit Milch und einen Schnuller, den sie in der Apotheke neben dem Zoo gekauft hatte.

Layla durchlebte in ihren Gedanken die letzten 3 Jahre nochmal von vorne. Sie konnte sich noch an alles genau erinnern: „Als sie Amira stündlich mit dem Milchfläschchen gefüttert hatte, als Amira das erste Mal die Wohnung erkundet hatte, als sie ihre Hundemutter kennen, akzeptieren und lieben gelernt hatte, als sie ihren ersten Ball bekommen hatte, ihr erster Geburtstag, als sie Fieber bekommen hatte und zu sterben drohte, ihr erster Spaziergang und ihre erste (und auch letzte) Taxifahrt. Der Taxifahrer war beim Anblick der Löwin nämlich ohnmächtig geworden und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Das war die erste und auch letzte „Taxifahrt“ von Amira, denn dann bekam Layla zu ihrem Geburtstag ein eigenes Auto geschenkt und fuhr Amira seitdem überall selbst hin.

Plötzlich riss Layla eine laute, roboterhafte Stimme aus ihren Gedanken. Es war ein Lautsprecher, der die Zoobesucher dazu aufforderte, den Zoo zu verlassen, da er in 5 Minuten schließen würde. Erst jetzt bemerkte Layla die große Menge, die sich um sie und Amira versammelt hatte. Sie stand auf, nahm die Leine wieder in die Hand und trieb die Menge gekonnt aus dem Zoo. Als die Besucher gegangen waren und Layla zum Löwenkäfig zurückgekehrt war, hörte sie plötzlich ein lautes, qualvolles Fiepen. Sie schaute ins Löwengehege und sah geschockt zu, wie die frischgebackene Löwenmutter eines ihrer Jungen erwürgte. Sie hatte die Schnauze des Löwenjungen im Maul und verhinderte so, dass es atmen konnte. Ein anderes Junge lag bereits totgebissen auf dem Boden. Um ihn herum hatte sich eine große Blutlache gebildet. Die anderen Löwen wussten, dass man sich in solchen Situationen nicht mit einer Löwenmutter anlegt und waren in den Innenbereich des Geheges geflüchtet. Das qualvolle Fiepen wurde immer schwächer und hörte schließlich ganz auf. Das zweite Junge war erstickt.

Mit einem Schlag erwachte Layla aus ihrer Schock-Starre. Nun richtete sich die Löwin auf, ließ die Schnauze ihres toten Jungen aus ihrem Maul gleiten und schritt langsam auf das verbliebene Albino-Junge zu, dass sich in einer Ecke verkrochen hatte und nun angsterfüllt quiekte. Währenddessen rannte Layla zur Tür des Geheges, schloss sie auf und sprintete dann auf das Albino-Junge zu. Bei ihm angekommen, hob sie das Junge hoch und umklammerte es fest. Sie wusste, dass sie es um jeden Preis beschützen musste, und dachte nicht über die Konsequenzen ihrer Entscheidung nach. Sie musste es einfach tun. Es war fast so, als ob sie es als eine Entschädigung, einen Ausgleich tun musste, weil die Geschwister des Jungen tot waren und seine eigene Mutter sich gegen ihn gewendet hatte. Sie spürte eine tiefe Bindung zum Löwenjungen, und es musste das Gleiche spüren, denn es quiekte nicht mehr, sondern starrte nur noch angsterfüllt auf seine Mutter. Aus ihren Augenwinkeln sah Layla, wie sich die Löwenmutter zum Angriff bereit machte. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte und umklammerte das Junge noch fester. Die Löwin machte sich sprungbereit, doch plötzlich warf sich etwas Großes, gelbes zwischen Layla und die Löwin! Es war Amira, die sich haarsträubend und entschlossen zwischen Layla und die Löwenmutter stellte. Aus Amiras Kehle kam ein so tiefes und gefährliches Knurren, dass die Löwin ein paar Schritte zurückwich. Schließlich bekam sie Angst, drehte sich um und flüchtete ins Innengehege. Layla kniete sich hin und schloss Amira und das Albino-Junges dankbar in die Arme. Nun war es endgültig besiegelt: Sie würde es großziehen! von Izabella Janka Fekete (13)

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